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Das Gymnasium, in dem Kastuś Kalinoŭski die Schulbank drückte
SO WERDEN IDOLE GEBOREN
Ich bin ein großer Fan von Kastuś Kalinoŭski, der zusammen mit seinem Bruder Viktar in Svislač, einer Kleinstadt ca. 90 km südlich von Hrodna, die Schulbank drückte. Der legendäre Kastuś Kalinoŭski ist so etwas wie ein „Superstar“ für diejenigen, die sich heutzutage für ein freies, unabhängiges und vor allem „belarussisches“ Belarus einsetzen. Er war auf belarussischer Seite der Anführer des polnisch-litauisch-belarussischen Aufstandes von 1863/64 und wurde im März 1864 in Wilna (Vilnius) gehängt.
Das örtliche Gymnasium in Svislač, von dem heute noch ein kleines Gebäude übrig ist, war im 19. Jahrhundert ein Hort demokratisch-revolutionärer Geister. Heute ist hier ein Teil des Krankenhauses, das Kinderkrankenhaus, untergebracht, mit dem ich ein persönliches Erlebnis assoziiere. Im Februar 2013 musste sich meine kleine Tochter (damals 10 Monate alt) für einige Tage in diesem Krankenhaus aufhalten. Ausgerechnet in dem alten Gemäuer, in dem die Kalinoŭski-Brüder erste Erfahrungen mit der Welt machten! Ich wollte meine Tochter eigentlich aus diesem „Provinzkrankenhaus“ nach Hrodna holen und mit den Ärzten darüber sprechen, doch all meine Zweifel waren wie weggefegt, als ich das Krankenzimmer betrat. Klar, belarussischer Standard, kein Luxus, sehr bescheiden. Das Kinderbett meiner Tochter: Alt, durchhängende Matratze, die Gitterstäbe aus Metall schon mit ersten Rostspuren. Trotzdem: Als ich das Krankenzimmer betrat, war meine Tochter gerade dabei, die Federung ihres Kinderbettchens auf die Probe zu stellen. Sie klammerte sich an den Stäben fest, hüpfte wie besessen auf und ab, lachte dabei und war fröhlich. So werden Idole geboren!
Die sog. Allee der Denkmäler gegenüber des Krankenhauses liest sich wie eine Geschichte von Belarus. Hier steht eine von insgesamt noch zwei erhaltenen Stalin-Denkmälern in Belarus, vielmehr eine Büste, ‚in freier Wildbahn‘. Ausgerechnet der Platz, an dem bis vor einigen Jahren noch eine Kastuś-Kalinoŭski-Büste angebracht war, ist leer: Niemand weiß, was aus dem Monument wurde, vermutlich wurde es einfach nur gestohlen. Zum Glück hatte Svislač zwei Kalinoŭski-Denkmäler: Am zentralen Platz (direkt gegenüber der Allee/vul. Lenina) steht eine weitere Kalinoŭski-Büste (1958).
Das Gymnasium – Hort demokratisch-revolutionärer Geister
In dem Gymnasium (ab 1851 Adeligenschule; gebaut 1802/03), das die Brüder Kastuś und Viktar Kalinoŭski besuchten, gab es auch andere später berühmt gewordene Schüler, so drückte hier hierbeispielsweise auch der belarussische Maler Napoleon Orda die Schulbank. Erhalten ist der heute zum Krankenhaus gehörende rechte Flügel. Die Einrichtung wurde von Graf Tyškevič initiiert und finanziert, der seinerzeit die Kultur in der Stadt förderte und auch ein Theater gründete. Zum Gymasium gehörten damals neben dem Hauptgebäude zwei Flügel, Lager und ein Stall. Ursprünglich wurde in den extra dafür hergerichteten Räumen des Landgutes gebüffelt. Hier schwitzten bis zu 300 Schülern über den Büchern.
Das Gymnasium, befand sich ursprünglich bei den Teichen des Parks, die Fassade war zur Straße zugewandt. Das einstöckige Hauptgebäude aus Stein hatte ein relativ niedriges Dach und war im Stile des Klassizismus gehalten, mit einem aus 14 Säulen bestehenden Portal (vier Doppelsäulen, sechs einfache Säulen), kleinen rechteckigen Fenstern, die Mauern waren gekalkt. Es gab hier sechs Vorlesungssäle, zwei Arbeitszimmer sowie eine Kapelle, die zudem als Aula genutzt wurde, eine Bibliothek, zwei Küchen, zwei Abstellräume sowie elf weitere Zimmer. An den Hauptfassaden der beiden Seitenflügel, die als Wohnraum für Lehrer und Schüler dienten, gab es jeweils ein Sechs-Säulen-Portal. Gegenüber dem Gebäude befanden sich die Ställe und Lagerräume. Der heute noch erhaltene rechte Gebäudeflügel hat ein Giebeldach.
Die Schüler und die Lehrer unterhielten Kontakte in die revolutionäre Szene, gründeten hier auch Geheimorganisationen wie die Gesellschaft der Liebhaber der Wissenschaften (gegründet 1819) und später die Moralische Gesellschaft, welche Kontakte zu Studentenorganisationen der Universität Wilna unterhielt. 1824/25 wurden sämtliche Geheimbünde aufgelöst und ihre Teilnehmer teilweise verhaftet, verurteilt und zwangsrekrutiert. Die Schüler schlossen sich selbstverständlich auch dem Aufstand von 1863/64 unter Kastuś Kalinoŭski an.
Nach der Verlegung des Gymnasiums nach Šiauliai (heute Litauen) wurde hier 1876 das Lehrerseminar untergebracht. In der Nachkriegszeit wurde fast die ganze Anlage, die dem neuen Bezirkskrankenhausweichen musste, abgetragen.
Grab von Viktar Kalinoŭski
Wenn man von Hrodna im Norden aus in den Ort einfährt (vul. Kamsamsol‘skaja), so kommt man linkerhand übrigens an einem großen orthodoxen Friedhof vorbei, in dessen Zentrum eine kleine Kapelle die Anlage dominiert, die 1884 als Grabkapelle der Tyškevičs und als orthodoxe Heilig-Kreuz-Kirche [Свято-Крестовоздвиженская церковь] gebaut wurde. Ein heimlicher Wallfahrtort für Oppositionelle ist hier das Grab von Viktar Kalinoŭski direkt neben der Kapelle. Manchmal wehen hier kleine weiß-rot-weiße Fähnchen im Wind, die eingefleischte Fans belarussischer Geschichte und Kultur zu dem Grab gebracht haben.
André Böhm
Ich bin ein großer Fan von Kastuś Kalinoŭski, der zusammen mit seinem Bruder Viktar in Svislač, einer Kleinstadt ca. 90 km südlich von Hrodna, die Schulbank drückte. Der legendäre Kastuś Kalinoŭski ist so etwas wie ein „Superstar“ für diejenigen, die sich heutzutage für ein freies, unabhängiges und vor allem „belarussisches“ Belarus einsetzen. Er war auf belarussischer Seite der Anführer des polnisch-litauisch-belarussischen Aufstandes von 1863/64 und wurde im März 1864 in Wilna (Vilnius) gehängt.
Das örtliche Gymnasium in Svislač, von dem heute noch ein kleines Gebäude übrig ist, war im 19. Jahrhundert ein Hort demokratisch-revolutionärer Geister. Heute ist hier ein Teil des Krankenhauses, das Kinderkrankenhaus, untergebracht, mit dem ich ein persönliches Erlebnis assoziiere. Im Februar 2013 musste sich meine kleine Tochter (damals 10 Monate alt) für einige Tage in diesem Krankenhaus aufhalten. Ausgerechnet in dem alten Gemäuer, in dem die Kalinoŭski-Brüder erste Erfahrungen mit der Welt machten! Ich wollte meine Tochter eigentlich aus diesem „Provinzkrankenhaus“ nach Hrodna holen und mit den Ärzten darüber sprechen, doch all meine Zweifel waren wie weggefegt, als ich das Krankenzimmer betrat. Klar, belarussischer Standard, kein Luxus, sehr bescheiden. Das Kinderbett meiner Tochter: Alt, durchhängende Matratze, die Gitterstäbe aus Metall schon mit ersten Rostspuren. Trotzdem: Als ich das Krankenzimmer betrat, war meine Tochter gerade dabei, die Federung ihres Kinderbettchens auf die Probe zu stellen. Sie klammerte sich an den Stäben fest, hüpfte wie besessen auf und ab, lachte dabei und war fröhlich. So werden Idole geboren!
Die sog. Allee der Denkmäler gegenüber des Krankenhauses liest sich wie eine Geschichte von Belarus. Hier steht eine von insgesamt noch zwei erhaltenen Stalin-Denkmälern in Belarus, vielmehr eine Büste, ‚in freier Wildbahn‘. Ausgerechnet der Platz, an dem bis vor einigen Jahren noch eine Kastuś-Kalinoŭski-Büste angebracht war, ist leer: Niemand weiß, was aus dem Monument wurde, vermutlich wurde es einfach nur gestohlen. Zum Glück hatte Svislač zwei Kalinoŭski-Denkmäler: Am zentralen Platz (direkt gegenüber der Allee/vul. Lenina) steht eine weitere Kalinoŭski-Büste (1958).
Das Gymnasium – Hort demokratisch-revolutionärer Geister
In dem Gymnasium (ab 1851 Adeligenschule; gebaut 1802/03), das die Brüder Kastuś und Viktar Kalinoŭski besuchten, gab es auch andere später berühmt gewordene Schüler, so drückte hier hierbeispielsweise auch der belarussische Maler Napoleon Orda die Schulbank. Erhalten ist der heute zum Krankenhaus gehörende rechte Flügel. Die Einrichtung wurde von Graf Tyškevič initiiert und finanziert, der seinerzeit die Kultur in der Stadt förderte und auch ein Theater gründete. Zum Gymasium gehörten damals neben dem Hauptgebäude zwei Flügel, Lager und ein Stall. Ursprünglich wurde in den extra dafür hergerichteten Räumen des Landgutes gebüffelt. Hier schwitzten bis zu 300 Schülern über den Büchern.
Das Gymnasium, befand sich ursprünglich bei den Teichen des Parks, die Fassade war zur Straße zugewandt. Das einstöckige Hauptgebäude aus Stein hatte ein relativ niedriges Dach und war im Stile des Klassizismus gehalten, mit einem aus 14 Säulen bestehenden Portal (vier Doppelsäulen, sechs einfache Säulen), kleinen rechteckigen Fenstern, die Mauern waren gekalkt. Es gab hier sechs Vorlesungssäle, zwei Arbeitszimmer sowie eine Kapelle, die zudem als Aula genutzt wurde, eine Bibliothek, zwei Küchen, zwei Abstellräume sowie elf weitere Zimmer. An den Hauptfassaden der beiden Seitenflügel, die als Wohnraum für Lehrer und Schüler dienten, gab es jeweils ein Sechs-Säulen-Portal. Gegenüber dem Gebäude befanden sich die Ställe und Lagerräume. Der heute noch erhaltene rechte Gebäudeflügel hat ein Giebeldach.
Die Schüler und die Lehrer unterhielten Kontakte in die revolutionäre Szene, gründeten hier auch Geheimorganisationen wie die Gesellschaft der Liebhaber der Wissenschaften (gegründet 1819) und später die Moralische Gesellschaft, welche Kontakte zu Studentenorganisationen der Universität Wilna unterhielt. 1824/25 wurden sämtliche Geheimbünde aufgelöst und ihre Teilnehmer teilweise verhaftet, verurteilt und zwangsrekrutiert. Die Schüler schlossen sich selbstverständlich auch dem Aufstand von 1863/64 unter Kastuś Kalinoŭski an.
Nach der Verlegung des Gymnasiums nach Šiauliai (heute Litauen) wurde hier 1876 das Lehrerseminar untergebracht. In der Nachkriegszeit wurde fast die ganze Anlage, die dem neuen Bezirkskrankenhausweichen musste, abgetragen.
Grab von Viktar Kalinoŭski
Wenn man von Hrodna im Norden aus in den Ort einfährt (vul. Kamsamsol‘skaja), so kommt man linkerhand übrigens an einem großen orthodoxen Friedhof vorbei, in dessen Zentrum eine kleine Kapelle die Anlage dominiert, die 1884 als Grabkapelle der Tyškevičs und als orthodoxe Heilig-Kreuz-Kirche [Свято-Крестовоздвиженская церковь] gebaut wurde. Ein heimlicher Wallfahrtort für Oppositionelle ist hier das Grab von Viktar Kalinoŭski direkt neben der Kapelle. Manchmal wehen hier kleine weiß-rot-weiße Fähnchen im Wind, die eingefleischte Fans belarussischer Geschichte und Kultur zu dem Grab gebracht haben.
André Böhm
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