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Birgitinnenkloster und Ljamus
LJAMUS UND BABYKLAPPE

Hrodna ist eine Stadt der Klöster: Jesuiten, Dominikaner, Benediktiner, Franziskaner, und Bernhardiner, Karmeliten, Birgittinnen und Basilianerinnen. Davon sieht man heute auf den ersten Blick allerdings nicht mehr viel. Es gibt mit den katholischen Jesuiten- und Bernhardinerklöstern und den Frauenklöstern der Birgittinnen und der orthodoxen Basilianerinnen zwar immer noch aktive Orden, aber die hohe Zeit der Klöster ist vorbei. Viele ehemalige Klostergebäude stehen noch immer, sind aber so in die Stadtarchitektur integriert, dass man sie kaum noch als ehrwürdige Häuser des Glaubens wahrnimmt. So gehörten die unauffälligen Gebäude am Rande der Fußgängerzone (vul. Saveckaja, 6 und 8; Fußgängerzone in der Innenstadt) ursprünglich zum Dominikanerkloster.
Als Nahtstelle zwischen Mittel- und Osteuropa, zwischen Katholizismus und Orthodoxie hatte Hrodna für beide Seiten die Funktion des Brückenkopfes, was eine Erklärung für die zahlreichen Kirchenbauten auf engem Raum ist. Damit wollte auch immer die jeweils dominierende Kraft ihren Machtanspruch demonstrieren. Zwischen Katholiken und Orthodoxen existierte bis zur ihrem Verbot im 19. Jahrhundert auch die Unierte Kirche, die, obwohl orthodox ausgerichtet, den Papst in Rom als geistliches Oberhaupt anerkannt. Das heutige orthodoxe Frauenkloster der Heiligen Jungfrau (vul. Haradzenskaja 3) gehörte ursprünglich zur Unierten Kirche.
Ein Kloster, das mich besonders fasziniert, ist das des Birgittenordens. Dem Besucher fällt das ungewöhnliche schwarzweiße Fries mit den merkwürdigen See-Wesen und geflügelten Gesichtern ins Auge, das die Klosterkirche im oberen Bereich umläuft. Auf belarussischem Boden unterhielt dieser aus Skandinavien kommende Orden nur in Brest ein weiteres Kloster. Beide wurden schon Mitte des 19. Jahrhunderts aufgelöst. In Hrodna jedoch blieben einige Schwestern bis Anfang des 20. Jahrhunderts und gingen dann im Orden der Nazarenerinnen auf. An der ursprünglich kleinstädtisch-idyllischen vul. Marksa gelegen, findet sich das Kloster heute im größten Hrodnaer Trubel wieder. Vom Verkehr umtost, trennt nur eine Mauer den Klosterbereich von der Außenwelt ab.
Zunächst interessierte ich mich aber gar nicht für das Kloster selbst, sondern für ein äußerlich unspektakuläres Haus in seinem rückwärtigen Hof. Dieses zweistöckige Haus, komplett aus Holz gefertigt, ist das wohl älteste Gebäude Hrodnas. Ich kam kurz vor Schließung des Tores. Ein unwilliger Wachmann machte mir deutlich, dass er seinen Feierabend nicht wegen mir verschieben würde. Doch nachdem er vom ehrlichen Interesse am Ljamus genannten Haus überzeugt war, ließ er mich doch noch ein und führte mich sogar herum.
Der Ljamus ist eigentlich ein Lager- oder Gesindehaus und gilt als Beispiel für die typisch belarussische Holzbauweise. Es stammt aus dem frühen 17. Jh. und ist ohne Zuhilfenahme anderer Werkstoffe ausschließlich aus Holz gefertigt. Sein Zustand ist heute nicht der beste, Erhaltungsarbeiten sind aber geplant. Als das Birgittinnenkloster in der Sowjetzeit aufgelöst, enteignet und als psychiatrisches Krankenhaus genutzt wurde, quartierte man im Ljamus die Krankenhausverwaltung ein. Seit den 1990ern ist das Birgittinnenkloster wieder in der Obhut des Ordens. Derzeit ist der Komplex bis auf die Klosterkirche geräumt. Im Hof lagerten bei meinem Besuch Baumaterialien, das Gebäude selbst zeigt sich komplett entkernt.
Einmal aufgetaut, führte mich der Wachmann gleich noch im Klosterbau umher, sein Dienstschluss war ihm längst egal. Über zwei Stockwerke erstrecken sich die Flügel des Klosterkomplexes, eines Barockbaus aus der Hälfte des 17. Jahrhunderts. Die langwierige Sanierung hat vor einigen Jahren begonnen. Diese wird ausschließlich aus Spendengeldern bezahlt und verläuft deshalb nur schleppend. Immerhin waren bereits fast alles Spuren der Sowjetzeit beseitigt und die Kreuzgänge und Hallen und Zellen ließen trotz der nackten Mauern und Schutthaufen die vergangene Größe und Wirkung erahnen. Stolz zeigte mir der Wachmann das ausgefeilte alte Heizungssystem. Über ein in den Wänden liegendes Kaminsystem wurde warme Luft durch das gesamte Gebäude geleitet. Bis unters Dach begleitete mich mein Fremdenführer.
Schließlich schlug er vor, auch noch die Klosterkirche zu besuchen. Dafür nahm er mich mit auf die andere Straßenseite zu einem Gebäude in dem die Schwestern für die Dauer der Sanierung wohnen. Er klingelte, und siehe da, ohne Schwierigkeiten sprach er polnisch mit einer Schwester, die sich auch gleich bereit erklärte, die Kirche für uns aufzuschließen.
Das Innere der Kirche erscheint unerwartet nüchtern und schlicht. Kein Altar, keine aufwändige Malerei und überbordende Dekoration wie sie die Franziskuskathedrale auszeichnet – stattdessen glatte, weiße Wände. In früheren Zeiten hatte auch die Kirche des Birgittinnenklosters alle Attribute einer katholischen Kirche. Ordensauflösung, Krieg und Zweckentfremdung haben die ursprüngliche Ausstattung jedoch unwiderbringlich zerstört.
Und noch eine Besonderheit findet sich im Birgittinnenkloster. An seiner Außenseite in Richtung vul. Maladzjožnaja ist in der Mauer eine merkwürdige kleine Tür angebracht, zu klein für den durchschnittlichen Kirchenbesucher. Diese Tür ist ein seltener Vorläufer der in Deutschland bekannten Babyklappe. Mütter konnten hier unerwünschte Babys ablegen – in der Gewissheit, dass sich die Nonnen um sie kümmern würden.
Mein Führer hatte zu diesem Zeitpunkt schon seit einer halben Stunde Feierabend. Als wir uns voneinander verabschiedeten, war von der anfänglichen Reserviertheit gar nichts mehr zu spüren.

Rajko Lassonczyk

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